Foto: Sprengel Osnabrück

Sprengelfrüchte - die Idee

Was ist es, was Menschen Trost bietet, wenn sie zum Beispiel ihre Heimat verloren haben? Was hilft einem Jugendlichen, andere zu trösten, die Probleme in der Schule oder im Elternhaus haben? Oder was geschieht, wenn jemand scheinbar untröstlich ist, weil er weiß, dass sein Kind sterben wird? Diesen Fragen ist die Landessuperintendentin Birgit Klostermeier in der Reihe „Sprengelfrüchte“ 2016 zum ersten Mal auf den Grund gegangen – in Gesprächen mit Ehrenamtlichen, mit Organisatoren, Seelsorgern und Betreuern. Das ganze Jahr über hat sie verschiedene Einrichtungen und Initiativen besucht, um das Engagement im Sprengel Osnabrück zu erkunden. Thema der ersten Ausgabe des Projektes „Sprengelfrüchte“ war die Jahreslosung der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für das Bibellesen: „Gott spricht: Ich will euch trösten wie einen eine Mutter tröstet.“ Das Projekt wurde bis zum Jahr 2019 fortgesetzt.

Die „Sprengelfrüchte“ waren 2016 ein Pilotprojekt. Landessuperintendentin Dr. Birgit Klostermeier zog nach einem Jahr eine Zwischenbilanz

Frau Klostermeier, wie sind Sie auf die Idee der „Sprengelfrüchte“ gekommen?

2015 wurde ich als Landessuperintendentin eingeführt. Bei meinen Besuchen im ersten Jahr fiel mir auf, wie viel Interessantes es im Sprengel zu entdecken gibt. Ich traf ehren- und hauptamtlich Engagierte, die mich beeindruckten. Was für faszinierende Ideen gab es! Sozial, kulturell, politisch. Und sie wurden umgesetzt, motiviert, mutig, humorvoll, mit Ausdauer und auch hartnäckig. Ich spürte so etwas wie Freude und auch Stolz: „Das ist evangelische Kirche!“ Und zugleich stellte ich fest: Wie wenig wird davon sichtbar! So entstand die Idee, die ich mit meiner Vorstellung von geistlicher Leitung eines Sprengels verbinde: Sichtbar machen und ermutigen. Zugleich begann ich mich zu fragen, wie hängt das alles zusammen? Es müsste doch gelingen, ein unsichtbares Netz sichtbar zu machen. So kam ich darauf, mit der Jahreslosung in der Tasche durch den Sprengel zu wandern und mich auf die Suche zu machen nach dem Verbindenden.

„Sprengelfrüchte“ – woher kommt dieser Name? Was verbirgt sich dahinter?

Ich selbst denke Kirche und kirchliches Leben gern in Bildern aus der Natur. Also ganz biblisch. Es lebt und wächst; es gibt Unkraut, Wüsten und Paradiese. Der Baum, tief verwurzelt und zum Himmel ausgestreckt, ist mir zum Beispiel ein wichtiges Bild für den Menschen. Aber was ist ein Sprengel? Mit dem Wort kann man selbst als kirchlicher Insider nur noch wenig anfangen. Zunächst ist es ja ein Gebiet, das im Fall des Osnabrücker Sprengels fünf Kirchenkreise umfasst. Leider klingt das zunächst nach Verwaltungseinheit. Dabei lebt auch ein Sprengel - wie seine Kirchenkreise und Gemeinden - von Menschen, die miteinander ihre Umgebung und damit die Gesellschaft mit gestalten. Da lag für das Projekt das Bild des Gartens und seinen Früchten nahe.

Die Jahreslosung 2016 lautet: „Gott spricht: Ich will euch trösten wie einen eine Mutter tröstet.“ – wo haben Sie diese Worte im Sprengel Osnabrück wieder gefunden?

Zunächst mal musste ich mir diese Jahreslosung aus dem Buch Jesaja selbst erschließen. Die Predigt zum Neujahrstag, die ich im katholischen Dom St. Peter in Osnabrück halten durfte, gab mir Gelegenheit dazu. Ich fragte mich: Was ist das für ein Trost? Gott wird hier mit der Mutter verglichen. Wie trösten denn eigentlich Mütter? Was tun sie Besonderes, was nicht auch andere könnten: Väter, Freundinnen, Großmütter? Dann dachte ich, doch, es gibt einen Moment, der der Mutter vorbehalten ist: Der Moment unmittelbar nach der Geburt. Das Neugeborene ist nur wenige Minuten von der Mutter getrennt, die Nabelschnur gerade durchschnitten, der eigene Organismus ist selbstständig, vielleicht schreit es. Die Hebamme oder der Vater legt das Kind der Mutter in die Arme, vielleicht auf die Haut. Und sofort wird es ruhig.

Was tröstet? Nicht Worte. Sondern der Herzschlag, die Stimme. Für einen kleinen Moment ist es so, als sei die Trennung aufgehoben, als sei alles gut. Trösten. Trösten kommt von treu sein. Ich bin da. Die Einheit herstellen. Umfasst, geborgen, umhöhlt. Gewollt. Für mich bedeutete die Jahreslosung: Ein großes Ja Gottes zum Menschen. „So will ich euch trösten. Bei eurem Weg durch das Jahr. Gott spricht: Es soll so sein, dass Du es spüren wirst. Ich will trösten, treu sein. Da sein.“ In diesem Sinne können wir als männliche oder weibliche „Nicht-Mutter“ mütterlich werden. Können wir auch als Gemeinden in dieser Gesellschaft mütterlich werden, gemeinsam und vielfältig. Sich nach der Einheit sehnen und zugleich gegen die Zerrissenheit der Welt an arbeiten. Das hat Bedeutung für unsere Gesellschaft. Mütterlich zu sein ist politisch, denn alle Entwicklung, alles Leben geht darauf zurück. Es macht einen Unterschied für die Welt, ob wir uns einfinden, einstimmen auf den Herzschlag Gottes oder ob wir nur den eigenen hören. Ich meinte diesen „Herzschlag“ bei meiner Reise durch den Sprengel an vielen Stellen zu hören. Trost in der Gruppe, im Gespräch. In der Erlaubnis, sein zu dürfen, wie man ist. Heimat zu finden. Das „Trostverbundsystem“, von dem Frau Dr. Crüsemann beim Sprengelpastorinnentag sprach, das war zu spüren, ohne dass man es direkt benennen konnte. Es wird an den Wirkungen sichtbar; und die haben viele beschrieben.

Wenn Sie heute einen Blick zurück werfen – welche Begegnungen sind Ihnen im Gedächtnis geblieben?

Ich habe vieles gesehen und verstanden, durfte zuhören und mitmachen. Das hat mir große Freude gemacht. Ich kann gar kein Erlebnis hervorheben, weil sie alle auf ihre Weise sprechend waren. Aber eines will ich benennen, was gar nicht als Sprengelfrucht auftauchte. Und doch ist es eine - zufällig entdeckt. Ich war eingeladen zu dem Sprengeltreffen der Männerarbeit. „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, dein Stecken und Stab trösten mich“ hatten sie sich als Thema gesetzt. Gut fünfzig, meist ältere Männer saßen eng an gedeckten Tischen und es entwickelte sich untereinander ein Gespräch in einer atemberaubenden Offenheit. Ob und wie Männer einander überhaupt trösten können und wollen, wie viel Einsamkeit es gibt und welchen Mut es braucht, sich voreinander einzugestehen, wie es in einem aussieht – da war er wieder, in diesem Sich-einander-zumuten: ein Trost, plötzlich im Raum.

Die „Sprengelfrüchte“ waren 2016 ein Pilotprojekt. Wird es eine Fortsetzung geben?

Ja, das wird es, und zwar mit der nächsten Jahreslosung des Jahres 2017: „Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.“ Ich bin gespannt und freue mich.

Vielen Dank für das Gespräch!