Zwei Frauen erfüllen sich mit Café in Dissen einen Herzenswunsch

„Man muss es wenigstens versuchen. Aufgeben kann man doch immer noch“

Für Annette Mielke und Gerhild Thieß gibt es fast nichts Schöneres als zu kochen und zu backen. Allerdings wollen die beiden es auch nicht mehr übertreiben. „So ein kleines, feines Café gegenüber der Kirche – das wäre doch was!“ – das dachten sich die beiden Frauen, und setzten ihren Traum kurzerhand in die Tat um. Landessuperintendentin Dr. Birgit Klostermeier besuchte das „Kirchenstübchen“ jetzt im Rahmen ihres Projektes „Sprengelfrüchte“.

Es ist kurz nach drei an diesem Freitagnachmittag im Zentrum von Dissen. Aus dem liebevoll restaurierten Raum gegenüber der Kirche sind Stimmen und Geschirrklappern zu hören. Kaffeetassen werden abgestellt und Kuchengabeln abgelegt. An einer großen Kaffeetafel sitzen rund zehn Frauen, ein Mann ist auch dabei. Dieter Holleyn kommt mit seiner Frau hierher. Eine der beiden Betreiberinnen des „Kirchenstübchens“ ist ihre Cousine. „Und der Kuchen schmeckt auch“, sagt der 68-Jährige schmunzelnd.

Der Kuchen stammt von Gerhild Thieß und Annette Mielke. Die beiden Frauen hatten die Idee zu dem Café in Dissen. Und sie haben selbst Hand angelegt, um den Raum in dem historischen Haus, das von der Kirchengemeinde gemietet wurde, herzurichten: die Lampen stammen vom Trödelmarkt, auf jedem Tisch stehen kleine Väschen mit frischen Blumen, der Kuchen wird auf feinem Sammelporzellan angerichtet. Das Geld für die Einrichtung stammt aus einer Kirchgeldsammlung; viele der Gegenstände wurden gespendet.

„Wir haben früher schon viele Sachen zusammen gemacht“, erzählt Annette Mielke, „aber das wurde uns dann nach einigen Jahren zu groß.“ So wuchs beispielsweise das monatliche Gemeindefrühstück schnell von anfangs 20 auf bis zu 80 Gäste an, für die die beiden Ehrenamtlichen vorher tagelang gekocht und gebacken haben, am Tag selbst ab morgens um fünf Uhr – eine logistische Höchstleistung. Doch auch als sich die beiden heute 60 und 68 Jahre alten Frauen entschlossen, das Gemeindefrühstück aufzugeben – ganz ohne Aufgabe wollten sie nicht sein. „So ein kleines, feines Café, das war schon immer unser Herzenswunsch“, sagt Gerhild Thieß im Gespräch mit Regionalbischöfin Birgit Klostermeier. „Wir kochen und backen beide sehr gern, und wir haben sehr gerne Gäste.“ Der Unterschied: beide Frauen backen für das „Kirchenstübchen“ jeweils nur einen Kuchen – für beide ist das ein Klacks im Gegensatz zu früher. Nach Lust und Laune probieren sie auch Neues aus: Bratapfel oder Pickert zum Beispiel. Geöffnet wird an zwei Freitagnachmittagen im Monat von 15 bis 17 Uhr. Die genauen Zeiten hängen dabei aber von ihren Familien ab: „Schließlich sind wir beide inzwischen Omas“, lacht Gerhild Thieß und schichtet einige Stücke Zupfkuchen vom Blech auf die Kuchenplatte um.  

„Früher sind die Frauen aus Dissen zum Kaffeetrinken immer nach Bad Rothenfelde gefahren“, erzählt die 94-jährige Paula Kraak, „da gab es hier auch nicht viel.“ Das Kirchenstübchen hat nun Platz für 20 Gäste. Damit erfährt das Dissener Ortszentrum eine kleine Wiederbelebung. Die ist auch dringend notwendig, schließlich ist die Stimmung in der Stadt am Teutoburger Wald nach den Hiobsbotschaften der vergangenen Monate und Jahre am Boden. Erst die Schließung des Dissener Krankenhauses, dann – im April – die Ankündigung des Feinkostherstellers Homann, seine Produktion nach Sachsen zu verlegen. 1.200 Arbeitsplätze in Dissen und Bad Essen könnten verloren gehen. Für die Mitarbeiter und ihre Familien ist die Zukunft ungewiss, und das beschäftigt auch die Menschen im „Kirchenstübchen“.

„Da sind wir erstmal in Schockstarre verfallen, so überraschend kam die Nachricht von Homann“, berichtet eine Frau im Gespräch mit Landessuperintendentin Klostermeier. „Da hängen ja auch noch andere Betriebe mit dran, die Imbisse, oder die, die die Dosen waschen – da hat wirklich niemand mit gerechnet“, sagt Dieter Holleyn. Um die gut ausgebildeten unter den Mitarbeitern mache man sich weniger Sorgen, „die finden vielleicht noch woanders Arbeit“, so die Meinung am Kaffeetisch im „Kirchenstübchen“. „Aber die anderen, die vielleicht Anfang 50 sind und hier in Dissen gebaut haben – für die ist es wirklich schlimm“, sind sich die Gäste einig.

Dabei sind die Dissener tapfer: Noch Jahre nach der Schließung des Krankenhauses in der Stadt halten sie wöchentlich eine Mahnwache ab – sie fordern zumindest eine Notfallversorgung. 50 bis 100 Menschen beteiligen sich jedes Mal daran. „Das zeigt, wie stark die Bewohner Dissens hier zusammenrücken. Wie sich der Herzenswunsch bei Frau Mielke und Frau Thieß erfüllt hat, so ist auch dem Ort ein `neuer Geist´, eine neue Perspektive zu wünschen“,  sagt Regionalbischöfin Birgit Klostermeier bei ihrem Besuch in Dissen. Dabei seien die beiden Dissener Frauen mit gutem Beispiel vorangegangen – ganz im Sinne der Jahreslosung 2017: „Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.“

Das „Kirchenstübchen“ wurde im Februar 2016 eröffnet. Eine Zwischenbilanz zu ziehen, das fällt den beiden Frauen nicht gerade leicht, weil sich die Resonanz stets verändert – was auch an den besonderen Angeboten liegt, die das Café macht. Vor kurzem war der Bürgermeister zum Stammtisch da, Ende des Monats wird es eine Männerrunde geben – Kartenspiel inklusive. Widerstände haben die beiden Frauen nicht erlebt – schließlich wussten die Dissener bereits, dass etwas Gutes dabei herauskommt, wenn das Duo ein Projekt anfasst. Aber was würden sie anderen raten? „Wir sagen immer: Man muss es wenigstens versuchen. Auch wenn man eine Sache irgendwann wieder aufgibt – ein Versuch lohnt sich immer. Und vielleicht passiert etwas ganz Wunderbares“, sagt Annette Mielke strahlend.

„Was hier gemacht wird, das ist einmalig“, ist eine der meist älteren Besucherinnen überzeugt. Etwas ebenfalls Besonderes zeigt sich am Ende des Nachmittags im Kirchenstübchen: Es gibt keine Rechnung, es wird nicht kassiert. Jeder gibt am Ende soviel er möchte und kann. Für die beiden Frauen ist mit dem Café ein Herzenswunsch wahr geworden. Bislang haben sie einen kleinen Überschuss erwirtschaftet, so gut wird das „Kirchenstübchen“ angenommen.