Zwei völlig unterschiedliche Landwirte berichten vom Wandel

„Wir ahnen gar nicht, was noch auf uns zukommt“

Bio oder konventionell, Viehhaltung oder Ackerbau, Familienbetrieb oder Großunternehmen – Gegensätze gibt es in der Landwirtschaft viele. Gerade in Zeiten eines immer globaler werdenden Marktes wird es für Landwirte immer schwieriger zu überleben. Die Folge: Die Konkurrenz wächst, das Prinzip „wachsen oder weichen“ wird zur traurigen Realität. In Neuenkirchen, im nördlichen Teil des Sprengels Osnabrück, ist davon nichts zu spüren. Landessuperintendentin Dr. Birgit Klostermeier hat dort mit zwei durchaus gegensätzlichen Landwirten gesprochen, die seit Jahrzehnten befreundet sind.

„Das ist ja auch selten, dass ich um diese Zeit auf dem Sofa sitze“, sagt Heinrich Kanzelmeier und lässt sich lachend auf den Dreisitzer von Familie Oetker fallen. Der 56-jährige Kanzelmeier und der gut zehn Jahre ältere Wilhelm Oetker haben sich für das Gespräch mit der Osnabrücker Regionalbischöfin extra Zeit genommen. Dabei hat zumindest der jüngere von beiden alle Hände voll zu tun. Oetker hat seinen Hof bereits an seinen Sohn Lars übergeben. Die Tiere haben die Oetkers vor einiger Zeit abgeschafft. Kanzelmeier ist noch voll im Geschäft und bereitet die Übergabe an seinen Sohn Falk derzeit vor. Ein weiterer Unterschied: Oetker bewirtschaftet den flächenmäßig deutlich größeren Hof. Er arbeitet konventionell, baut vor allem Mais für die Biogasanlage und Winterweizen an. Kanzelmeier ist durch und durch Bio-Bauer. Den Großteil seiner Flächen hat er gepachtet. Fragt man ihn nach seinem Anbau, folgt, mit kurzer Denkpause, eine Liste von insgesamt zwölf Kulturen – darunter neben Möhren und Kartoffeln Rote Beete, Spinat und Schwarzwurzeln.  

Birgit Klostermeier: Herr Kanzelmeier, haben Sie damals geahnt, dass „bio“ mal ein großer Trend werden würde?

Heinrich Kanzelmeier: Nein. Als ich den Hof von meinem Vater übernommen habe, da war das eigentlich nur als Nebenerwerb gedacht. Dass daraus ein Haupterwerb wurde, das hat sich irgendwann so ergeben. Auf „bio“ umgestellt haben wir am 1. Oktober 1987, also ziemlich genau vor dreißig Jahren. Das war damals für mich klar, dass das nur so geht. Ich hatte schon früh Kontakte zu den Grünen. Anfangs hatten wir den Plan, unser Gemüse direkt zu vermarkten. Als aber auch andere, konventionelle Hofläden aufmachten, brachte das nichts. Ein Hof muss ja auch wirtschaftlich sein. Also haben wir angefangen, unsere Möhren auch an die großen Babybrei-Produzenten zu verkaufen. In den Neunziger Jahren ist wohl kaum ein Kind ohne Babybrei aufgewachsen, dessen Möhren nicht von unserem Hof kamen. Inzwischen beliefern wir auch Supermärkte in ganz Deutschland, über einen Zwischenhändler.

Wilhelm Oetker: Bei uns wäre der Hof ein reiner Nebenerwerb nach Feierabend, wenn wir nicht die Biogasanlage hätten. So bewirtschaften wir etwas mehr als die Hälfte unserer Flächen mit Energiemais. Außerdem habe ich immer in der Beratung gearbeitet, genau wie mein Sohn heute.

Heinrich Kanzelmeier: Die großen konventionellen Betriebe hatten damals auch gar keine Lust auf Öko!

Wilhelm Oetker: Das stimmt. Aber wir hatten hier auch keine große Konkurrenz. Weil jeder seine Nische hatte. Heinrich war Schüler bei mir an der Landwirtschaftsschule; seinen Sohn Falk hat er ein Jahr zu uns auf den Hof geschickt. Wir leihen uns auch gegenseitig Maschinen aus. Da spielt es gar keine Rolle, ob bio oder nicht.

Birgit Klostermeier: War diese „Nische“ damals nicht ein großes Risiko? Wie haben Sie das erlebt?

Heinrich Kanzelmeier: Der Vorteil bei uns war damals: wir hatten nichts zu verlieren. Wir hatten nur 20 Hektar Land und keine größeren Gebäude, die unterhalten werden mussten. Mein Vater hat mir den Betrieb früh überschrieben und nur für 25.000 D-Mark gebürgt. Das war gut so. Es war immer nur als Nebenerwerb gedacht. Und dass die Nachfrage immer gut war, das liegt, glaube ich, auch an unsere guten Lage: Der Hof liegt ganz in der Nähe der Bundesstraße. Früher hab ich mal gedacht, ich wäre der große „Möhrenheld“ (lacht), aber ansonsten wird eben auch viel kreuz und quer durch die ganze Region gefahren. Da liegen wir deutlich besser, nämlich in Reichweite der LKW des Bio-Großhandels aus dem Rheinland.

Wilhelm Oetker: Ich fand das erstaunlich, wie sehr Heinrichs Vater ihm damals freie Hand gelassen hat. Man muss die jungen Leute ja auch vor sich selbst schützen. Dieses unbegrenzte Wachstum – das führt nur dazu, dass die Betriebe schneller wachsen als die Managementfähigkeiten ihrer Betriebsleiter. Das geht dann oft schief. Für einen Stall mit 400 Kühen zum Beispiel braucht man ein ganz anderes Wissen als für einen Stall mit sechzig bis achtzig Kühen. Deshalb müssten die Banken ein begrenztes Wachstum fördern, kein grenzenloses.

Heinrich Kanzelmeier: Ich sage immer: wir wollen nicht wachsen, wir wollen kontinuierlich besser werden. Darum geht es mir.

Bundesweit ist jeder zehnte Landwirt ein Biobauer. In Niedersachsen sind es nur drei Prozent. Mit einer Ernte von 50 Millionen Möhren pro Jahr gehört der Bio-Ackerbaubetrieb von Heinrich Kanzelmeier in diesem Bereich inzwischen zur Spitze. Genauso wie sein ehemaliger Berufsschullehrer Wilhelm Oetker hat Kanzelmeier Landwirtschaft studiert – beide sind diplomierte Agraringenieure.

Birgit Klostermeier: Wenn Sie an den Geist der Achtziger Jahre denken – was hat sich aus Ihrer Sicht verändert? Was bedeutete „bio“ damals, was bedeutet es heute?

Heinrich Kanzelmeier: Viele von uns Biobauern haben ihre Unschuld verloren. Früher gab es untereinander ein größeres Miteinander. Wenn ich heute mit meinem Opel Corsa zu einem Treffen mit anderen Biobauern fahre, dann gucke ich da erstmal in den Auspuff von einem SUV. Das kann nicht sein. Das Ziel kann ja nicht sein, 700 Arbeitsplätze zu schaffen, aber selber nicht mehr klar zu kommen.

Wilhelm Oetker: Das gibt es ja auch im Nordwesten: Höfe, auf denen Bürogebäude stehen und sieben Hotels für die Mitarbeiter. Wenn eine der großen Supermarktketten dort bis 20 Uhr anruft, dann wird das Gemüse bis morgens um fünf an den Einzelhandel geliefert. Dieser harte Wettbewerb liegt aber auch an der Konkurrenz zum Beispiel aus dem Baltikum – bloß: bis der Salat von dort hier ist, das dauert.

Es klopft an der Tür. Lars Oetker, der Hofnachfolger, ist zurück von einem Termin. Er hat einen seiner beiden Söhne abgeholt und vervollständigt nun die Runde.

Birgit Klostermeier: Heinrich Kanzelmeier, Sie sind Bürgermeister von Neuenkirchen; Wilhelm Oetker, Sie sitzen im Kirchenkreisvorstand. Das ist ein großes zeitliches Engagement neben Ihrer eigentlichen Arbeit. Wann ist denn für Sie eine Grenze erreicht?

Heinrich Kanzelmeier: Ich muss sagen, ich bin an meiner Grenze. Mein Junior ist noch nicht soweit. Aber sobald er soweit ist, werde ich mich auch zurückziehen. Sonst droht ja auch irgendwann ein Burn-out.

Lars Oetker: Es heißt immer so schön „wachsen oder weichen“ – aber das bedeutet auch sehr viel Arbeit und wenig Freizeit; wenig Zeit nachzudenken. Und dafür braucht es dann Beratung. Das Interesse ist ja auch da, sich weiterzubilden. Aber dafür fehlt vielen einfach die Zeit.

Heinrich Kanzelmeier: Biobauern galten eigentlich immer schon als hip. Trotzdem: Wenn die Ehefrauen maulen und die Freizeit so knapp ist – das überzeugt die Kinder ja auch nicht gerade davon, eines Tages den Hof zu übernehmen. Und das ist bei uns gerade Thema: die Betriebsübergabe harmonisch zu vollziehen.

Falk Kanzelmeier, Heinrich Kanzelmeiers Sohn, ist 21 Jahre alt. Sein Vater sagt, er ist Feuer und Flamme für den Hof. Sobald er seine Ausbildung zum Landwirt abgeschlossen hat, will er am liebsten gleich groß einsteigen. Natürlich kommt es da auch schon mal zu unterschiedlichen Meinungen. Das gehört dazu, und deshalb nehmen die Kanzelmeiers das mit Humor. Die Oetkers haben den Generationenwechsel schon vollzogen. Der 40-jährige Sohn Lars hat den Hof schon vor einigen Jahren übernommen. Seitdem hat sich auch hier Einiges geändert. In der Scheune stehen zwei große neue Trecker, von denen der eine per GPS gesteuert werden kann. Der Grund, warum die Schweinehaltung auf dem Hof Oetker abgeschafft wurde, war eine Allergie von Sohn Lars. Auch hier wurde Rücksicht genommen, um den Übergang für alle so verträglich wie möglich zu machen.

Wilhelm Oetker: Man darf auch nicht nur im eigenen Saft schmoren. Durch den Austausch mit anderen kann man sich gut einen weiteren Horizont schaffen. Das war mir immer wichtig – ob als Hofbetreiber, Lehrer, Berater oder eben im Kirchenkreisvorstand.

Birgit Klostermeier: In der Jahreslosung geht es um ein „neues Herz“, einen „neuen Geist“ – Ich habe den Eindruck, dass bei Ihnen beiden das Herz sehr für Ihre Branche schlägt. Welches neue Herz, welchen neuen Geist würden Sie sich wünschen?

Wilhelm Oetker: Viehhaltende Betriebe haben in den vergangenen beiden Jahren viel verloren: Geld und Ansehen. Sie müssen entwicklungs- und kooperationsfähig bleiben. Dafür brauchen sie kostendeckende Preise, aber nicht noch mehr Kritik.

Mit am Tisch sitzt außerdem Elke Oetker, die Ehefrau von Wilhelm Oetker. Die ehemalige Realschullehrerin hat sich während des Gesprächs bislang im Hintergrund gehalten. Jetzt äußert die 63-Jährige einen dringenden Wunsch.

Elke Oetker: Ich würde mir mehr Anerkennung für die Landwirtschaft wünschen, gerade von den Städtern. Nicht jede Spritze, die über´s Feld gefahren wird, ist automatisch Gift. Für Kinder ist es immer noch schwierig zu sagen, dass ihr Vater Landwirt ist. Das müsste sich ändern. Der Beruf ist doch längst hochkomplex.

Wilhelm Oetker: Die ganze Bürokratie und die sich ständig wandelnden Richtlinien – das wächst den praktischen Landwirten über den Kopf. Dafür müssten eigentlich neue Stellen geschaffen werden, um immer auf dem Laufenden zu sein.

Lars Oetker: Die neue Düngeverordnung ist so ein Beispiel. Vielleicht gehört die Tierhaltung einfach eher in den Osten Deutschlands, dorthin, wo eben auch die Flächen sind.

Heinrich Kanzelmeier: Ich würde mir mehr Entschleunigung wünschen, mehr Entspannung. Das meine ich jetzt ganz ernst: dass sich alle wieder lieb haben. Der Wandel geht einfach zu schnell. Wir wohnen in einem Fachwerkhaus aus dem 17. Jahrhundert. Mein Vater ist mit „bio“ gestartet – sein Enkel wird seinen Trecker ferngesteuert fahren lassen können. Das Tempo hat einfach stark angezogen.

Birgit Klostermeier: Was glauben Sie, wie sieht die Landwirtschaft in zwanzig Jahren aus?

Lars Oetker: Landwirte müssen Allrounder werden. Sie müssen sich breiter aufstellen – gegebenenfalls in Kooperationen – und dadurch belastbarer werden, so dass sie den Strukturwandel schaffen. Es sollte aber auch leichter werden, aufzugeben. Bis zum Alter von 40 Jahren sollten Landwirte die Möglichkeit haben, sich umzuorientieren. Ab 50 wird dann schon schwieriger, bis zur Rente noch was Neues zu machen.

Wilhelm Oetker: Wir führen heute selbst fahrende Trecke ein und sorgen für mehr „Tierwohl“. Dass die Landwirtschaft als rückständig gilt, dafür gibt es also längst keinen Grund mehr.

Heinrich Kanzelmeier: Eine Prognose zu wagen, das finde ich sehr schwierig. Ich glaube, es wird eine bunte Mischung geben. Das hoffe ich. Aber wir ahnen noch gar nicht, was auf uns zukommt. Ich sage immer: „Lernen Sie, den Wandel zu lieben!“ Aber irgendwann reicht es auch, mit den Veränderungen und Neuerungen.

Birgit Klostermeier: Ich danke Ihnen allen sehr herzlich für dieses offene Gespräch.