Foto: Sprengel Osnabrück

Teil 2: Mit Familien in Melle auf den Spuren der Wildschweine

Nachricht Melle, 19. Mai 2016

„Jedes Kind braucht einen Engel“

Gemeinsames Projekt der ev.-luth. Petrusgemeinde in Osnabrück- Lüstringen will Familien unterstützen und Kinder stark machen – unter anderem mit regelmäßigen Ausflügen.

Als der Bus am „Laden“ der Petrusgemeinde im Osnabrücker Stadtteil Lüstringen hält, steigen die mehr als 30 meist ausgelassenen Mütter und Kinder wie selbstverständlich ein, um sich einen Platz zu suchen. Die meisten von ihnen sind schließlich nicht das erste Mal bei einem Ausflug im Rahmen des Projektes „Jedes Kind braucht einen Engel“ dabei. Sie machen eine „Reise ohne Koffer“, einen Ausflug, der für sie organisiert wurde und den sie alleine nicht unternehmen könnten, und der sie am Abend wieder im eigenen Bett schlafen lässt. Denn „Heimat“ und „Zu Hause“ sind für viele dieser Menschen sensible Themen.

Heute Nachmittag bringt der Bus die Familien in den etwa zwanzig Kilometer entfernten Wildtierpark nach Melle. Ein Wanderweg soll sie dort bis hoch zur Diedrichsburg führen. Dieses Mal hat sich auch Landessuperintendentin Birgit Klostermeier der Gruppe angeschlossen.

Eine der Teilnehmerinnen ist Ines Martens. Für die gebürtige Russin ist der Ausflug mit anderen Müttern und ihren Kindern etwas ganz Besonders: „Ich habe eine fünfjährige Tochter, und die Kinder im Bekanntenkreis sind alle schon älter. Deshalb freuen wir uns immer auf die Ausflüge mit den anderen Kindern“, berichtet die 40-Jährige. Für sie ist der „Laden“ – das Zentrum des Projektes „Jedes Kind braucht einen Engel“ – zu einer wichtigen Anlaufstelle geworden. Denn sie und Hunderte andere Menschen finden dort nicht nur preisgünstige Kleidung, sondern auch Halt und Orientierung in der neuen Heimat, die ihnen teilweise noch fremd ist.

Und das liegt auch an Tatiana Isaeva. Die 58-Jährige ist so etwas wie die „gute Seele“ des Ladens. Das soziale Kleidergeschäft an der Mindener Straße ist nicht nur für Menschen aus anderen Herkunftsländern ein wichtiger Treffpunkt, sondern auch für diejenigen, die von plötzlicher Krankheit oder Trennung getroffen wurden oder die unter Armut leiden.   

 „Meine Kunden kommen von überall her – aus Deutschland, Russland, Afrika, Portugal, der Ukraine, oder jetzt auch aus Syrien“, sagt Verkäuferin Tatiana Isaeva im Gespräch mit Landessuperintendentin Birgit Klostermeier. Welche Religion die Kunden hätten, sei dabei vollkommen egal, so Isaeva. Der 58-Jährigen macht die Arbeit einfach Spaß: „Ich mache das mit ganzer Seele“, sagt sie. Auch durch ihre Sprachkenntnisse ist die gebürtige Kirgisin, die vor 15 Jahren nach Deutschland kam, eine gefragte Größe in dem Laden. Sie übersetzt, vermittelt und hilft, wo sie kann.

Angefangen hatte das Projekt „Jedes Kind braucht einen Engel“ mit einer Hausaufgabenbetreuung für Kinder in Notlagen. Im Jahr 2008 war das.

Heute gehören eine Kinderferienbetreuung, ein regelmäßiges Elternfrühstück und ein Seniorencafé genau so dazu wie die Ausflüge einmal pro Quartal.

„Das diakonische Handeln vor Ort, das ist das, was uns so wichtig ist“, sagt Diakon und Projektleiter Jörg Christian Lindemann, der das Projekt ins Leben gerufen hat. „Wir haben als Kirche den Auftrag, auf der Seite der Schwachen zu stehen und uns aktiv für sie einzusetzen“, ist Lindemann überzeugt. „Die Kinder, die dabei im Mittelpunkt stehen, gehörten bislang nicht zur Mittelschichtskirche, wie wir sie kennen“, so Projektleiter Lindemann weiter. Deshalb müssten neue Antworten gesucht werden.

Die Familienausflüge „ohne Koffer“ sollen einen großen Schritt in diese Richtung tun. Viele Mütter fühlen sich in der Fremde oft einsam, und dem wirkt das Projekt entgegen - und damit schließt es letztendlich an die diesjährige Jahreslosung an: „Gott spricht: Ich will euch trösten wie einen eine Mutter tröstet.“ Das könnte letztendlich auch das Motto des Familienausfluges „ohne Koffer“ sein. Denn was könnte jemanden in der Fremde besser auf andere Gedanken bringen als das gemeinsame Entdecken der neuen Umgebung?

Die Teilnehmer des Familienausflugs genießen auf jeden Fall den Spaziergang durch den Wald, die frische Luft und nicht zuletzt die Begegnung mit den Tieren des Wildparks.

Diakon Matthias Bruns erklärt als Begleiter am Westtor des Wildparks noch rasch die Sicherheitsvorkehrungen im Umgang mit den Wildschweinen. Und das nicht umsonst: Nach etwa zwanzig Minuten begegnet der Wandertruppe eine Bache mit ihren Frischlingen. Fotokameras und Handys werden gezückt; mutig lassen sich die Teilnehmer fotografieren – auch noch, als die Bache den Wanderweg betritt.

Kurz vor der Diedrichsburg lässt sich dann auch noch ein Keiler sehen – direkt am Wegesrand. Auch hier gibt es keine Berührungsängste: freudestrahlend ziehen die Mütter mit ihren Kinderwagen an dem mächtigen Tier vorbei. Gemeinschaft macht schließlich stark. Da sind sich die Frauen sicher.